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Warum es sinnvoll ist, Gerichtsentscheidungen auch visuell aufzubereiten

Gerichtsentscheidungen sind seit jeher optisch wenig ansprechende Textwüsten und selbst für Jurist*innen eine ungeliebte, weil zeitfressende Lektüre. Kein Wunder also, dass viele Kolleg*innen Fachpublikationen beziehen, in denen Autoren und Redakteurinnen wesentliche Entscheidungen redaktionell aufbereiten und mit Tipps für die Praxis versehen. Erstaunlicherweise kommen in diesem Zusammenhang bislang kaum Schaubilder zum Einsatz. Diese könnten die Aufnahme von Informationen nochmals beschleunigen und den Leser*innen viel besser als Text Strukturen und Zusammenhänge vermitteln.

Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die jeweilige Gerichtsentscheidung überhaupt visualisierbare Strukturen enthält. Auf Sachverhaltsebene kann dies z. B. eine Personenkonstellation sein oder eine Abfolge von Ereignissen. Hier ein Beispiel für einen Sachverhalt aus dem Erbrecht:

Visualisierung eines Sachverhalts

Noch wichtiger sind aber solche Strukturen, die das Gericht in seinen Entscheidungsgründen beschreibt oder selbst entwickelt, um sie anschließend auf den konkreten Fall anzuwenden. Sie bilden den rechtlichen Kern der Entscheidung und sind häufig von grundsätzlicher Bedeutung. Umso wichtiger ist es für Praktiker*innen, sie zu verstehen und dauerhaft im Gedächtnis zu verankern. Nachfolgend dazu ein Beispiel aus dem Sozialrecht.

Wenn das Gericht Strukturen beschreibt oder entwickelt

Das Sozialgericht Berlin hat am 7. März 2012 ein Urteil zur Abrechnung von Hausbesuchen durch Ärzte gefällt (Az. S 71 KA 552/10). Im Kern ging es um die Frage, welche Gebührenordnungsposition abzurechnen ist, wenn ein Arzt einen weiteren Patienten im selben Altenheim besucht. Handelt es sich um einen separaten Besuch, der nach Nr. 01410 zu vergüten ist, oder um einen sog. Mitbesuch nach Nr. 01413, für den es weniger Geld gibt? Die Gebührenordnungspositionen liefern zwar selbst Hinweise, wann die eine und wann die andere Position greift, in der Praxis helfen diese aber nur begrenzt weiter. Die Aufgabe des Gerichts bestand also darin, ausgehend von den Vorgaben in der Gebührenordnung Kriterien für die Abgrenzung der Gebührenpositionen zu benennen und auf dieser Grundlage im konkreten Fall eine Entscheidung zu treffen.

Die einen lesen selbst, die anderen lassen lesen

Sozialgericht Berlin, Urteil v. 7.3.2012, Az. S 71 KA 552/10

Wer keine anderen Quellen zur Hand hat und mehr über die Kriterien erfahren möchte, wird sich nun die Entscheidung vornehmen, um Näheres zu erfahren. Auf der gemeinsamen Website der Sozialgerichte in Deutschland www.sozialgerichtsbarkeit.de lässt sich das Urteil im Volltext nachlesen (siehe verlinktes Aktenzeichen oben). Die Präsentation des Textes ist allerdings für die Leser*innen eine Zumutung, wie der Ausschnitt aus der PDF-Version des Urteils zeigt. Bei anderen Entscheidungen auf derselben Website hat sich immerhin noch jemand die Mühe gemacht, den Text in Absätze zu unterteilen.

Die ganz Tapferen kämpfen sich auch durch solch einen Text, nachdem sie wahlweise das publizierende Gericht oder ihren Beruf für einen Moment innerlich verflucht haben. Andere lassen lesen und bezahlen lieber für Fachpublikationen, die sie in übersichtlicher Form über den Inhalt von Gerichtsentscheidungen informieren.

Wie Sie die redaktionelle Aufbereitung optimieren können

Die Leistung der Autorinnen und Redakteure, die tagtäglich Gerichtsentscheidungen lesen und in ein leicht konsumierbares Format überführen, ist für Jurist*innen und alle anderen Interessierten Gold wert. Nicht nur der Zeitgewinn ist enorm; die Inhalte sind auch leichter zu verstehen. Jurist*innen sind es zwar gewöhnt, schwer verständliche Texte zu lesen, sie freuen sich aber trotzdem, wenn es ihnen mal leichter gemacht wird (auch wenn sie das vielleicht nur ungern zugeben). Trotzdem lässt sich die Bearbeitung in einem Fall wie dem des Sozialgerichts Berlin noch optimieren. So könnte ein Schaubild die Struktur, die das Gericht zur Abgrenzung der Gebührenpositionen beschreibt bzw. entwickelt, viel besser vermitteln als bloßer Text. Während dieser die Struktur mühsam linear beschreiben muss, kann ein Schaubild sie den Betrachter(inne)n einfach vor Augen führen. Aussehen könnte ein Schaubild z. B. so:

Besuch eines weiteren Patienten im selben Altenheim: Abrechnung als separater Besuch oder Mitbesuch?

Leicht zu erkennen ist, dass es bei der Abgrenzung darauf ankommt, ob innerhalb des Altenheims das Prinzip der Selbstversorgung oder der Fremdversorgung vorherrscht, was an den Kriterien Verpflegung und Freizeit festgemacht wird.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Schaubilder sollen den redaktionell aufbereiteten Text nicht ersetzen, sondern ihn ergänzen. Ihre Aufgabe besteht allein darin, den Leser(inne)n die im Text beschriebene Struktur vor Augen führen, damit sie sie besser nachvollziehen und verstehen können. Doch nicht nur der Text braucht das Bild, auch das Bild ist zwingend auf den Text angewiesen – gerade bei Gerichtsentscheidungen. Schließlich ist hier jedes Wort mit Bedacht gewählt. Dieser sprachlichen Präzision kann ein Schaubild gar nicht gerecht werden, weil es sich auf das Nötigste beschränken muss. Für die Präzision ist deshalb der Text zuständig, ebenso wie für die Argumentation. Für die Leser*innen ist es deshalb optimal, wenn beide Medien bei der Informationsvermittlung miteinander kombiniert werden.

Inwiefern die Leser*innen von Schaubildern profitieren

Schaubilder helfen nicht nur, neue Inhalte erstmals in kurzer Zeit zu verstehen, sie erleichtern ihren Adressaten auch die Erinnerung an die Entscheidung als solche und den visualisierten Inhalt. Bilder bleiben uns einfach länger im Gedächtnis als bloßer Text. Die Wahrscheinlichkeit ist also sehr groß, dass man Ausführungen zu einem Urteil, die durch ein Schaubild ergänzt wurden, besser erinnert als andere Fachbeiträge. Zum anderen hat man den Inhalt der Entscheidung schnell anhand des Schaubildes wiederholt, um ihn ggf. auch auf andere Fälle anzuwenden. Schließlich gibt es sicher den einen oder anderen Praktiker, der dankbar wäre, wenn er in der Beratung, in Seminaren oder Vorträgen gelegentlich ein passendes Schaubild zur Hand hätte.

Das Schaubild wurde veröffentlicht in: IWW-Institut, Informationsbrief AAA Abrechnung aktuell, Kassenabrechnung und Privatliquidation in der Arztpraxis, Heft 2/2014.


Nicola Pridik

Nicola Pridik
Ich bin Juristin und Inhaberin des Büros für klare Rechtskommunikation in Berlin. Mit meinen Dienstleistungen unterstütze ich Sie dabei, Rechtsinformationen verständlich und anschaulich für Ihre Zielgruppe(n) aufzubereiten. Dabei steht die Visualisierung von Recht im Mittelpunkt. kontakt@npridik.de


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