Im August 2008 bin ich mit meiner Gründungsidee, Rechtsvisualisierung als Dienstleistung anzubieten, in die Vollzeitselbstständigkeit gestartet. Ich wollte weder reich werden noch berühmt. Auch wachsen wollte ich nicht. Das Ziel war vielmehr, beruflich das zu tun, was mir am meisten Spaß macht, und dabei zu überleben. Das hat offenbar funktioniert, denn ich bin immer noch da und liebe meine Arbeit nach wie vor und immer mehr. Es gibt also was zu feiern.
Wie es anfing
Mein Vorhaben stand anfangs unter keinem guten Stern: Kaum jemand interessierte sich 2008 für Rechtsvisualisierung und die wenigen, die es interessierte, waren noch nicht bereit, dafür mehr als ein Taschengeld zu zahlen. Die aktuelle PowerPoint-Version war von 2007 und es gab keine Bilddatenbanken, aus denen ich Material für Visualisierungen hätte beziehen können. Auch hatte ich keine Vorbilder, für das, was ich machen wollte. In der Familie und im sonstigen Umfeld war ich die erste, die sich selbstständig gemacht hat. Insgesamt fühlte sich der Sprung in die Selbstständigkeit eher an wie ein beruflicher Abstieg als nach großen Visionen. Ich glaube, außer mir hat niemand daran geglaubt, dass aus der Gründungsidee tatsächlich mal ein Beruf werden könnte, der irgendwann meinen Lebensunterhalt sichert. Ich überlebte mithilfe des staatlichen Gründungszuschusses und Nebenjobs als Redakteurin, Lektorin und Autorin. Immerhin aber wurde mein Gründungsvorhaben 2009 mit dem Neuköllner Gründerpreis ausgezeichnet.
Warum es mein Büro heute trotzdem noch gibt
1. Ich habe nie daran gedacht, aufzugeben
In den ersten Jahren gab es lange Phasen, in denen ich nicht einen einzigen Auftrag hatte. Das waren schlimme Zeiten. Trotzdem kam mir nie der Gedanke, beruflich etwas anderes zu machen. Diese Zweifel hatte ich bereits hinter mir gelassen. Zwischen 2002 und 2007 (?) war ich schon mal in Teilzeit selbstständig. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Da habe ich tatsächlich aufgegeben und war danach sehr erleichtert. Nach dem Neustart 2008 war das anders.
Auch heute gibt es immer mal wieder Zeiten, in denen wenig Aufträge reinkommen. Der Unterschied zu früher ist, dass ich diese Zeiten jetzt anderweitig nutzen und sogar genießen kann. Früher ging das nicht, ich habe nur gewartet und unentwegt darüber nachgedacht, wo ich noch Klinken putzen könnte. Es hat Jahre gedauert, bis ich das ablegen konnte.
2. Die juristische Welt entwickelt sich zu meinen Gunsten
Immer mehr Jurist*innen beschleicht angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und medialen Entwicklung das Gefühl, dass sie etwas an ihrer Kommunikation verändern müssen. Diese Entwicklung geht zwar sehr, sehr langsam voran, aber für mich ist sie dennoch spürbar. Schon seit einigen Jahren muss ich nicht mehr für meine Arbeit trommeln oder irgendwem erklären, dass es gut wäre, rechtliche Inhalte verständlicher aufzubereiten. Der Bedarf wird gesehen. Das ist gut!
Nicht jede*r ist allerdings auch bereit, größere Summen in visuelle Rechtskommunikation zu investieren. Auch wird der Aufwand der Visualisierung häufig komplett unterschätzt. So werden mir Präsentationen mit 200 Textfolien geschickt und es stellt sich später heraus, dass die anfragende Person offenbar dachte, es würde nur einen dreistelligen Betrag kosten, die Inhalte zu visualisieren und alles in eine ansprechende Form zu bringen. Bis Jurist*innen Visualisierungen und schöner Gestaltung einen ähnlichen Wert beimessen wie Texten, werde noch viele Jahre vergehen, fürchte ich.
3. Die Möglichkeiten des Internets und der sozialen Netzwerke haben mir sehr geholfen, meine Arbeit sichtbar zu machen
Als introvertierter Mensch, der sich oft auch aus gesundheitlichen Gründen nicht danach fühlt, unter Menschen zu sein, meide ich jede Gelegenheit, meine Arbeit auf Netzwerktreffen, in Workshops oder im Rahmen von Vorträgen zu präsentieren. Ich brauche dafür vielmehr einen Rahmen, in dem ich als Person nicht weiter in Erscheinung treten muss. Durch meine Website, mein umfangreiches Blog und die Social-Media-Kanäle ist mir das geglückt. Heute bin ich für jeden auffindbar, der nach dem sucht, was ich anbiete. Angefangen hat das alles so richtig allerdings erst 2016. Und es war absolut kein Selbstläufer. Ich habe vielmehr unfassbar viel unbezahlte Arbeitszeit investiert, um sichtbar zu werden. Die vielen Beiträge fürs Blog, in denen ich mein Wissen teile, die Bilddatenbank Bildvokabeln Recht mit über 500 Zeichnungen, Übersichten zu rechtlichen Themen, die ich ohne entsprechende Aufträge erstellt habe, unbezahlte Beiträge für Publikationen … Die Liste ist lang.
Apropos Website und Blog: 2021 und 2022 hat Marvin Siefke (Link öffnet Website der Agentur Pepper) maßgeblich dazu beigetragen, dass meine Website, mein Blog und Logo einen frischeren Look erhalten haben. Das war ein wichtiger und längst überfälliger Schritt und hat mir viel neuen Schwung gegeben.
4. Ich denke, ich bin besser geworden
Wenn ich sehe, mit welchen Fähigkeiten ich angefangen habe, kann ich im Stillen nur die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Es ist nicht so, dass alles schlecht war, was ich gemacht habe, aber bei vielen Dingen habe ich das Gefühl, eigentlich erst jetzt zu wissen, wie es geht. Dabei bin ich mit vielem auch immer noch nicht fertig. Das gilt insbesondere für gestalterische Fragen.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Alles, was ich anbiete, musste ich mir mehr oder weniger selbst erarbeiten. Dabei gab es für vieles nicht mal ein gutes Buch, das ich hätte lesen können, … oder ich hatte keinen Plan, nach was für Buchtiteln ich hätte suchen sollen, um weiterzukommen. Heute findet man ja beinahe alles im Internet, das war damals noch nicht so.
Bis heute gibt es keine praktische Anleitung zur Rechtsvisualisierung. Auch Literatur für fortgeschrittene Word- und PowerPoint-Anwender*innen ist kaum vorhanden. Und als Juristin lernt man auch nicht mal eben, wie man Dinge ansprechend gestaltet. Besser wird man folglich nur, wenn man sich selbst intensiv mit den Dingen auseinandersetzt, sie immer und immer wieder macht, viel herumprobiert und die Augen offen hält, was andere so machen, auf Webseiten schreiben und auf Social Media teilen. Dabei gehen dann schon mal Jahre ins Land.
Was sich an meinem Angebot verändert hat
Im Detail hat sich über die Jahre immer mal wieder etwas verändert. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle vier Punkte:
Während meine ursprüngliche Idee war, Rechtsvisualisierung als Dienstleistung anzubieten, geht es mir heute darum, rechtliche Inhalte in nutzerfreundlich aufbereitete Informationen zu verwandeln. Ich habe zwar auch in den ersten Jahren schon Textleistungen angeboten, diese hatten aber nichts mit meinen Visualisierungen zu tun, sondern waren einfach ein zusätzliches Angebot. Heute greifen text- und bildbezogene Leistungen für mich nahtlos ineinander und ergänzen sich: Texte bekommen durch Formatierung eine sichtbare Struktur und Visualisierungen setzen klar formulierte Textbausteine zueinander in Beziehung. Am Ende geht es immer darum, Text und visuelle Informationen optimal miteinander zu kombinieren. Es hat eine ganze Weile gebraucht, bis ich das für mich sortiert hatte.
So um 2016/17 herum habe ich angefangen, Sketchnotes zu zeichnen. Puh, das war nicht leicht, aber ich wollte es unbedingt hinkriegen. Auch heute zeichne ich immer noch nicht routiniert, einfach weil ich es viel zu selten mache, aber wenn ich den Einstieg gefunden habe und es fluppt, kann ich mich schnell darin verlieren. Anfangs habe ich noch auf Papier gezeichnet, Konturen durchgepaust, das ganze umständliche Programm. Inzwischen geht das alles digital. Im Blog gab es anfangs eine Zeichenserie für Jurist*innen, die ich ein paar Jahre später überarbeitet habe, später kam die Bilddatenbank Bildvokabeln Recht dazu. Ab und zu zeichne ich für Kund*innen komplexere Sketchnotes.
In den Jahren 2017 bis 2019 stand das Thema Leichte Sprache ganz oben auf der Tagesordnung. Ich war damals auf vielen Fachtagungen zum Thema und habe einige Workshops besucht. Die Frage, ob ich selbst Übersetzerin für Leichte Sprache werden wollte, hatte ich schnell verworfen. Mich interessierte aber, ob ich vielleicht juristische Strukturbilder in Leichter Sprache anbieten könnte. Da meine Experimente in diese Richtung kaum jemanden interessierten, habe ich die Sache am Ende jedoch nicht weiterverfolgt. Geblieben sind lediglich ein Beitrag dazu im Handbuch Barrierefreie Kommunikation und einige Blogartikel.
Die jüngste Entwicklung ist, dass ich unabhängig vom Recht auch sehr gern individuelle Präsentationsvorlagen in PowerPoint erstelle. Neuerdings kann ich das auch so machen, dass sie eine gute Grundlage für barrierefreie Präsentationen sind. Das freut mich gerade sehr, dass es in dieser Richtung vorangeht.
Lieblingswerkzeug PowerPoint
PowerPoint ist tatsächlich mein liebstes und wichtigstes Werkzeug. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum ich das Programm für beinahe alles verwende: Es ist in der Regel auch das einzige Visualisierungsprogramm, das Jurist*innen auf ihren Rechnern haben und nutzen. Ich möchte zeigen, dass man damit viel mehr machen kann, als Textfolien aneinanderzureihen.
Das Problem ist: Das Programm ist zwar für Laien gemacht und suggeriert, jede*r könne es bedienen, tatsächlich führt das aber dazu, dass es zwar alle anwenden, aber sich nur wenige wirklich damit auskennen. Viele schieben das Problem auf das Programm, dabei sind es die Anwender*innen, die es nicht anders zu nutzen wissen. Auch deshalb schreibe ich viel über PowerPoint in meinem Blog.
Gute Kommunikation beflügelt
In 15 Jahren sammelt man viele Erfahrungen, auch zwischenmenschliche. Und die sind nicht immer nur schön. Wenn Sie mich heute nach meiner wichtigsten Erkenntnis aus 15 Jahren Selbstständigkeit fragen, ist meine Antwort: Der Schlüssel zu beinahe allem ist freundliche, respektvolle und verbindliche Kommunikation. Vieles ist so viel leichter und macht so viel mehr Freude, wenn es auf dieser Grundlage stattfindet. Es klingt wie eine Binsenwahrheit, ist aber tatsächlich so. Alle anderen Formen der Kommunikation oder Nicht-Kommunikation machen dagegen viel auf zwischenmenschlicher Ebene kaputt, rauben unnötig Energie, Lust und Lebenszeit. Heute möchte ich fast sagen, freundliche, respektvolle und verbindliche Kommunikation brauchen wir noch viel dringender als klare Kommunikation. Aber vielleicht hängt das auch alles irgendwie miteinander zusammen.
Wie es weitergeht
Falls ich denn jemals in Rente gehen sollte, liegen noch etwa 15 Jahre Selbstständigkeit vor mir. Ehrlich gesagt denke ich nicht darüber nach, was mich in diesen Jahren erwartet, Hauptsache, es geht weiter, und ich überlebe dabei. Die Marschroute ist also dieselbe wie vor 15 Jahren. Wahrscheinlich wird sich auch meine Arbeit irgendwann durch KI verändern. Aktuell ist das aber noch kein Thema für mich. Im Moment interessiert mich vor allen Dingen, was ich zum Abbau von Barrieren in der digitalen Kommunikation beitragen kann. Das Angebot barrierefreier Präsentationsvorlagen ist ein erster Schritt.
Besondere Pläne für die Zukunft habe ich nicht. Schön wäre, wenn es mir gesundheitlich besser gehen würde als jetzt und in den vergangenen Jahren. Wahrscheinlich ist das die größte Aufgabe, die mir bevorsteht, auch wenn sie nur mittelbar etwas mit der Arbeit zu tun hat.