Sie sind hier: npridik.de / Blog / Visuelle Hilfsmittel in der Beratung: Beispiel Erklärkarten

Visuelle Hilfsmittel in der Beratung: Beispiel Erklärkarten

Schon lange plädiere ich dafür, in Beratungen mit Rechtsbezug Visualisierungen einzusetzen. Bisher dachte ich dabei allerdings vornehmlich an vorbereitete Schaubilder und spontan angefertigte Skizzen. Umso neugieriger machte mich ein Projekt des IQ Netzwerks Hessen, das in der Beratung innerhalb des Jobcenters Frankfurt am Main auf textbasierte Erklärkarten setzt. Was dahinter steckt und warum es lohnt, dem Projekt auch außerhalb des Frankfurter Jobcenters Aufmerksamkeit zu schenken, erläutere ich in diesem Beitrag.

Was es mit den Erklärkarten auf sich hat

Das Prinzip der Erklärkarten funktioniert wie folgt: Die wichtigsten Informationen zu einem ständig wiederkehrenden Beratungsthema (im Jobcenter betrifft das z. B. Themen wie Integrationskurse, Bewerbungstrainings oder Sanktionen nach dem SGB II) werden gesammelt, strukturiert und verständlich formuliert. Anschließend druckt man sie auf kleine farbige Kärtchen. In der Beratung legt die beratende Person die Kärtchen dann ergänzend zu ihren mündlichen Ausführungen auf den Tisch. Für die Person, die beraten wird, sind wichtige Informationen somit nicht nur akustisch, sondern auch visuell wahrnehmbar.

Beratung mit Erklärkarten
Foto© IQ Netzwerk Hessen INBAS GmbH

Karteninhalte: Beispiel Integrationskurs

  1. Karte: Sie stellen einen Antrag. Sie schicken den Antrag an diese Adresse.
  2. Karte: Sie bekommen einen Brief vom BAMF. In dem Brief ist der Berechtigungs-Schein für den Deutschkurs.
  3. Karte: Mit diesem Berechtigungsschein-Schein melden Sie sich beim Deutschkurs an. Hier ist eine Liste mit Schulen. Sie melden sich bei einer Schule an.
  4. Karte: Sie kopieren die Anmeldung. Sie schicken die Kopie ans Jobcenter.

Welchen Sinn das Ganze haben soll, erschließt sich leichter, wenn Sie die Hintergründe kennen. Hierzu muss ich etwas weiter ausholen:

Wie die Idee zu den Erklärkarten entstanden ist

Das Netzwerk IQ (Integration durch Qualifizierung) will die Arbeitsmarktintegration von Migrant*innen verbessern. Dafür erhält es Geld vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Konkret koordiniert und fördert das Netzwerk zahlreiche Projekte, die von sog. operativen Partnern, z. B. Bildungsträgern, Kommunen, Vereinen oder Volkshochschulen, umgesetzt werden. Eines dieser Projekte war das Projekt „SensiBer – Beratung sprachsensibel gestalten“ des Vereins berami berufliche Integration e. V. In diesem Projekt ging es darum, Beschäftigte des Jobcenters Frankfurt in Workshops für eine sprachbewusste und sprachsensible Gestaltung des Beratungsprozesses zu qualifizieren.

Die Mitarbeiter*innen müssen ihrer Kundschaft immer wieder komplexe Themen, Abläufe und Anforderungen mit juristischer Relevanz erklären. Das ist schon schwierig genug, wenn sie deutsche Muttersprachler*innen vor sich haben. Noch schwieriger wird es, wenn die Ratsuchenden nur wenig Deutsch sprechen und verstehen. Dann kommt es schnell zu Missverständnissen und erneutem Beratungsbedarf, beide Seiten werden in der Beratung ungeduldig und fühlen sich hilflos, was wiederum zu Frust und negativen emotionalen Reaktionen führt, die die Kommunikation zusätzlich erschweren.

In dem Projekt sollte es deshalb darum gehen, die eigene Sprache und Ausdrucksweise zu reflektieren und zu lernen, wie sich die Kommunikation im Interesse aller Beteiligten verbessern lässt. In der Vorbereitung auf die Workshops hospitierten deren Leiter*innen im Jobcenter. Dabei fiel ihnen auf, dass es Themen gibt, die in den Beratungen immer wiederkehren und jedes Mal aufs Neue schwer zu vermitteln sind. Es entstand die Idee, für derartige Standard-Beratungssituationen ein leicht handhabbares Instrument zur Strukturierung der Informationen zu entwickeln. Das Ergebnis sind die Erklärkarten, die dann in Zusammenarbeit mit den Beschäftigten des Jobcenters in den Workshops entwickelt wurden.

Was die Erklärkarten bringen

Vielleicht fragen Sie sich, welchen Vorteil es haben soll, wenn Informationen zugleich mündlich und schriftlich vermittelt werden, zumal das Sprachproblem bei schriftlichen Informationen ja ebenso besteht. Wer als Erwachsener jedoch schon mal eine Fremdsprache lernen wollte oder gelernt hat, weiß, dass das Verstehen einer fremden Sprache häufig leichter wird, wenn man die Wörter und Sätze vor sich sieht. Erst die Kombination aus Gehörtem und Geschriebenem vermittelt einen Zugang zur Sprache. Ich habe z. B. mal versucht, Dänisch zu lernen, und mir zu diesem Zweck gerne dänische Filme in Originalfassung angeschaut. Ohne die dänischen Untertitel für Hörgeschädigte hätte ich kein Wort verstanden. Mit Untertiteln war es zumindest möglich, der Handlung zu folgen.

Die Erklärkarten dienen jedoch nicht nur den Ratsuchenden. Sie helfen auch der beratenden Person, Informationen sinnvoll zu strukturieren, wohldosiert zu vermitteln und sich verständlich auszudrücken. Ganz nebenbei tragen sie zu einem einheitlichen Beratungsstandard und damit zur Professionalisierung bei, indem sie vorgeben, welche Informationen in welcher Reihenfolge zu bestimmten Standard-Beratungsthemen vermittelt werden müssen oder sollen.

Schließlich ist es ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass sich Berater*in und Kunde während der Beratung immer wieder auf einzelne Erklärkarten und die darauf notierten Informationen beziehen können. Das erleichtert nicht nur die Kommunikation über Inhalte, sondern entlastet auch das Gespräch als solches. Die Person, die beraten wird, kann z. B. allein durch das Zeigen auf eine Karte und einen fragenden Blick deutlich machen, welche Information sie nicht versteht und die beratende Person muss sich in der Beratung nicht ständig wiederholen, sondern kann auf bereits erläuterte Punkte verweisen, indem sie die passende Erklärkarte erneut hervorholt.

Erklärkarten zum Thema Sanktionen

Warum das Projekt so interessant und wichtig ist

Die sechs Erklärkartensets für das Jobcenter Frankfurt mögen verbesserungsbedürftig sein. Auch ich hätte am liebsten gleich eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen zusammengestellt. Trotzdem möchte ich hier ausdrücklich die positive Seite des Projekts und der Idee an sich betonen, und zwar aus zwei Gründen:

  1. Ich finde es wichtig, dass das Kommunikationsproblem in der Beratung durch Behörden erkannt wird, man darüber spricht und Versuche unternimmt, die Situation zu verbessern. Deshalb ist jedes Projekt unterstützenswert, das sich genau dies zur Aufgabe macht. Das Projekt in Frankfurt hat dabei auch einiges geschafft. Allein die Tatsache, dass sich Mitarbeitende des Jobcenters in Workshops gemeinsam Gedanken darüber gemacht haben, wie sie Informationen mit rechtlicher Relevanz in eine verständliche Sprache übersetzen und strukturieren können, ist schon ein großer Gewinn. Immerhin setzt es eine Bereitschaft voraus, eigene Arbeitsabläufe und -routinen zu hinterfragen und sich auf Veränderungen einzulassen.
  2. Ich bin mir sicher, dass sich mehr aus der Idee der Erklärkarten als visuelles Hilfsmittel machen lässt. Besonders gefällt mir daran, dass die Karten ihre Entwickler*innen und Anwender*innen auf eine beinahe spielerische Art und Weise dazu bringen, Informationen klar zu strukturieren und zu formulieren.

Wie es hätte weitergehen können

Ich selbst fand die Idee mit den Erklärkarten so inspirierend, dass ich sofort das Bedürfnis hatte, die Karten am Rechner nachzubauen und auszuprobieren, wie man sie stärker visuell ausrichten kann. Verständliche Sprache, kombiniert mit Visualisierungen – das wäre fürs Verstehen ideal. Ein erster Versuch bestand darin, den Text durch Icons zur ergänzen, welche die Inhalte stützen.

Erklärkarten mit Icons

Wie man sieht, müssten die Karten in der Folge größer werden, damit man die Icons auch erkennen kann. Auch finde ich weiße Icons nicht ideal. Trotz allem war es ein Versuch, der bei der Projektleiterin gut ankam:

Das ist wirklich ganz beeindruckend, was Sie aus „unseren“ Erklärkarten gemacht haben! Wir freuen uns immer sehr über Rückmeldungen und Ihre Idee der Weiterentwicklung begeistert mich geradezu und ich möchte am liebsten die Ärmel hochkrempeln und loslegen.

Claudia Feger
Projektleiterin Vorbereitung Erzieher/in Integrierte und berufsbezogene Deutschförderung
beramí berufliche Integration e.V.

Dazu kam es aber leider nicht mehr, weil ich zu spät dran und das Projekt bereits abgeschlossen war. Schade.

Diesen Blogbeitrag war das Thema trotzdem wert. Vielleicht startet ja irgendwer irgendwann ein ähnliches Projekt. Das würde mir gefallen.